Kolonialdenkmäler und partizipative Plastik - |
Erinnerungskulturen, Mythen, Antithesen, Inversionen |
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von Jokinen |
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Kolonialdenkmäler sind umrankt von hartnäckigen Mythen. Sie machen Vorschläge zu einer verbindlichen Deutung der Geschichte, transportieren vermeintlich 'ewige Botschaften' von 'weißen Herren' und 'schwarzen Dienern', von 'Kolonialhelden' und 'treuen Askari', von 'Opferwillen', 'Unerschrockenheit', 'Uneigennützigkeit' und 'Zivilisationsmission' - sie sind Ikonen der kolonialromantischen Verklärung, die bis heute unterschwellig wirkt. |
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"Die beste Waffe gegen den Mythos ist in Wirklichkeit vielleicht, ihn selbst zu mythifizieren, das heißt, einen künstlichen Mythos zu schaffen." (Barthes)1) "Die subversive Methode der Erschaffung eines künstlichen Mythos, die Barthes im Kampf gegen den Mythos vorschlägt, besitzt zweifelsohne eine gewisse Kulturtauglichkeit, weil sie von der Ohnmacht" - oder von der eingeschränkten Wirksamkeit (Anm.) - "einer rationalen Aufklärung gegenüber dem Mythos ausgeht. Eine Aufklärung des Mythos müßte selbst eine mythische Antithese dazu sein." (Feuerstein)2) |
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Wie können wir solche kolonialen Allein-Mythen brechen, wie "mythische Antithesen" schaffen? Können die Kolonialdenkmäler umgedeutet werden, indem sie aus ihrem Kontext gerissen werden, aus ihrer örtlichen und historischen Umgebung, um ihre Aussage zu verändern? Gelingt es, mit künstlerischen Mitteln neue Kontextualisierungen und Inversionen vorzunehmen? |
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Mit afrika-hamburg.de bin ich diesen Fragen nachgegangen.3) Das performativ-forschende Projekt setzte sich mit den materiellen und mentalen Bedingungen kolonialer Mythen auseinander. Es lud ein, im Stadtraum und auf dieser Webseite über die beinahe vergessene Kolonialgeschichte Hamburgs zu debattieren, die sich in vielfältigen, aber von der Öffentlichkeit meist nicht wahrgenommenen städtischen Spuren manifestiert: in Monumenten, Gebäuden, Straßennamen, Hafenstrukturen u.a. (s. Bilder der Stadt). |
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Impulsgebend für das Vorhaben war eine Befassung mit dem Hamburger Wißmann-Kolonialdenkmal, das ich aus dem Keller holte und für 14 Monate zwischen Oktober 2004 und November 2005 an einer exponierten Stelle am Hafen Hamburg aufstellte. Vor Ort fügte ich lediglich eine Infotafel hinzu sowie ein 'Denkmalschild' aus Bronze mit der Webadresse www.afrika-hamburg.de und eine Tafel mit Archivphotographien aus den letzten hundert Jahren, die in serieller Abfolge das mehrfache Aufstellen und Stürzen des Denkmals sichtbar machten. |
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Das bronzene Denkmalensemble stellt den deutschen Kolonialoffizier, Reichskommissar und Kolonialgouverneur Hermann von Wißmann mit einem afrikanischen Askari-Soldaten dar, der zu seinem weißen 'Herrn' emporblickt. In mythifizierender, wilhelminisch-pathetischer Bildsprache wird hier eine starke Hierarchie zwischen 'Schwarz' und 'Weiß' festgelegt. Die Konstruktion von 'Weiß-Sein' findet hier seinen Ausdruck in symbolischer, überhöhter und verdichteter Form. (s. Denkmal 2) |
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Mythen umwehen auch das Leben und Wirken Hermann von Wißmanns. Seit seinem Tod kursieren in Nachrufen und Biografien Legenden von 'Deutschlands größtem Afrikaner', von einer 'Kolumbusnatur' 'mit vierzigfachem Verstand', vom 'Sklavenbefreier', 'verdienstvollen Afrikaforscher', 'Tierschützer' und 'Freund der Afrikaner'. Neuere Forschungen4) verschiedener Autoren (s. u.a. Morlang) haben diese glorifizierenden Zuschreibungen in allen Teilen unmissverständlich widerlegt und als kolonialrevisionistische Konstruktionen entlarvt. |
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Das Wißmann-Denkmal wurde 1909 in Daressalam in der damaligen deutschen Kolonie 'Deutsch-Ostafrika' (heute Tanzania) eingeweiht. Nach dem Verlust der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg wurde es über London nach Hamburg verschifft und 1922 vor der Universität Hamburg (hervorgegangen aus dem Kolonialinstitut) aufgestellt, wo es in der Nazizeit zur wichtigsten Kolonialweihestätte Deutschlands hochstilisiert wurde. 1968 stürzten Studenten das Abbild Wißmanns vom Sockel. 1986 wurde das Denkmal für eine Ausstellung aus dem Keller geholt. Die Sockelfigur Wißmanns wurde dabei liegend präsentiert. |
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Kaum ein anderes Monument hat eine derart bewegte und skurrile Geschichte. Es ist nicht nur interkontinental bewegt worden, sondern auch durch verschiedene Epochen der Verehrung und Verachtung hindurch gereist. Am Schicksal des Standbilds und an seiner beschädigten Oberfläche lässt sich beispielhaft (post)koloniale Mentalitätsgeschichte ablesen. So habe ich es denn auch bewusst mit all den lesbaren Spuren der gesellschaftlichen Auseinandersetzung aufgestellt und sichtbar gemacht. |
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Es galt, das Wißmann-Denkmal, dieses gezeichnete artefact trouvée, nicht nur als Dokument zugänglich zu machen und zu entziffern, sondern es vielmehr durch gezielte künstlerische Intervention und in partizipativer Interaktion mit den BetrachterInnen als Mythos zu entschlüsseln und in einem dynamischen Prozess für neue An- und Einsichten erlebbar zu machen. |
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Eine die Öffentlichkeit beteiligende Präsentation unzeitgemäßer Figuren kombiniert mit Mitteln, Methoden und Medien der zeitgenössischen, interventionistischen Kunst fördert ein Nachdenken über Symbole und Repräsentationen der Macht. Ihre Gestalten werfen Fragen auf, die auf Antworten warten: Mit welcher Gestik sprechen uns heute diese Monumente an? Welchen Standpunkt, welche Stellungnahmen vertreten sie auf welchen Sockeln? Worauf fußen sie, was übersehen sie? Wie wirkt im Wißmann-Denkmal die gleichzeitige Sichtbarkeit der kolonialen Bildinhalte und der Spuren und Beschädigungen der postkolonialen Auseinandersetzungen auf den Betrachter? Wie wird es in seiner Doppel- und Mehrschichtigkeit und in diesem dialektischen Prozeß rezipiert und diskutiert? Welche unbewussten Schichten von Mentalitätsspuren drängeln an die Oberfläche? Gelingt die Inversion des Denkmals zu seinem eigenen Gegendenkmal, zu einer 'mythischen Antithese'?5) |
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Vor Ort am Hafen sind schätzungsweise 200.000 bis 300.000 Menschen mit dem Standbild Wißmanns konfrontiert worden, haben die Informationen gelesen und das Denkmal eingehend betrachtet. Immer wieder bildeten sich am Denkmal Menschengruppen, in denen leidenschaftlich diskutiert wurde. Der öffentliche Raum fand so seine originäre Funktion wieder und strahlte auch weit in die Medienlandschaft hinaus (s. vor Ort und Pressespiegel). |
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Das Projekt kreierte nicht nur einen Nachdenkmal-Raum am Hafen, sondern - als genauso zentralen Projektbereich - einen zweiten zur Debatte, Mitwirkung und öffentlichen Auseinandersetzung hier auf dieser Webseite. Das beteiligungsorientierte Forum regte zur Diskussion an, während die Web-Abstimmung Vorschläge und Ideen zum weiteren Schicksal des Denkmals sammelte. |
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In den 14 Projektmonaten haben über 35.000 Menschen die Website besucht, und 5.669 Menschen haben hier abgestimmt, was mit dem umstrittenen Wißmann-Monument künftig geschehen soll. In über 800 teilweise langen Textpostings wurde die Kolonialgeschichte höchst kontrovers debattiert. Diese und 300 weitere hinterlassene Ideen geben Zeugnis davon, wie das Thema die Gemüter bewegt. |
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Neben kolonialkritischen Textbeiträgen lassen sich im Debattenforum Heldenmythen und Stereotypen finden, die mit durchaus viel historischem Detailwissen flankiert werden. Die Meinung, man müsse die koloniale Gewaltgeschichte aus ihrer Epoche und nicht aus unserer Zeit heraus verstehen und damit ein Nachsehen haben, kommt häufig vor. Die Mythen der sog. 'Kolonialschuldlüge der Engländer', der 'Treue der Askari' und des 'Sklavenbefreiers Wißmann' werden oft bemüht, genauso wie Autoren der älteren Literatur zitiert. Manche Beteiligte glauben, durch viele Textwiederholungen Überzeugungsarbeit leisten zu können. Die Beiträge geben beredtes Zeugnis vom Stand der Diskussion über die Kolonialgeschichte; sie lassen allerdings auch ahnen, was verdrängt und verschwiegen wird. |
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Die Sichtung der vielen Debattenbeiträge evoziert Fragen nach mentalitätsgeschichtlichen Kontinuitäten, die das Projekt zu Tage förderte und sichtbar machte. Welche sowohl postkolonialen als auch fortwirkenden kolonialen Erinnerungsräume können im Forum aufgespürt und ausgeleuchtet werden? Wie können die Erfahrungen aus dem Projekt für weitere Diskussion über die Kolonialgeschichte ausgewertet werden? |
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Ein deutliches Ergebnis zeigt immerhin die Webabstimmung: 95 % aller Beteiligten sind der Meinung, dass das Wißmann-Denkmal nicht wieder versteckt, sondern sichtbar bleiben soll, um weiter diskutiert zu werden. Die meisten Menschen wollen sich an selbst unbeliebten Monumenten 'reiben', um sich erinnern zu können. |
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afrika-hamburg.de wurde begleitet von Veranstaltungen, Kunstperformances und Schulaktionen. Zur Finissage präsentierte ich im Kunsthaus Hamburg die ganze Fülle der eingegangenen Ideen, Meinungen, Dokumente, Fundstücke und Nachrichten in einer raumfüllenden Installation. |
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Das Wißmann-Denkmal ist zwar wieder in den Keller gebracht worden - die Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur und einem adäquaten Umgang mit den abgelegten Hamburger Kolonialdenkmälern wird aber ausgehend von diesem Beteiligungsprojekt fortgesetzt. Zu beobachten ist in diesem Jahr ein weiterhin anhaltendes Medieninteresse. Die Lücke, die das Monument im Stadttraum und in den Köpfen hinterlassen hat, wird noch öffentlich thematisiert. (s. Pressespiegel) |
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Wie wollen wir also in Zukunft mit all den abgestellten Hamburger Standbildern umgehen, die - vermeintlich für die Ewigkeit geschaffen - Mythen und Legenden kolonialer Praktiken repräsentieren und transportieren? Mit diesen Symbolen, vor denen bis heute Veteranenvereine und Traditionsverbände ihre Gedenkrituale feiern, wie etwa im 'Tansania-Park' in Hamburg-Jenfeld? |
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Als weiterführendes Projekt schlage ich einen Park Postkolonial vor, einen kritischen Lernort, in dem alle Hamburger Kolonialdenkmäler versammelt und durch künstlerisches Eingreifen so arrangiert werden, dass sie bildhaft Kontakt zu einander aufnehmen, sich wechselseitig kommentieren und in ihrem imperialen Habitus differenziert kenntlich werden. In diesem Park Postkolonial sollen die Monumente in ihren tradierten, historisch mehrschichtigen Inhalten entziffert werden, um dann gegenwärtige Kontexte herzustellen. Wenn sich Gestalt und Wahrnehmung der Monumente im Geschichtverlauf verändern, bieten sie auch Raum für neue Gedanken. Der Park Postkolonial eröffnet einen solchen Gedankenraum als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung und transkulturellen Diskurses. Damit werden die Standbilder ihrer ursprünglich, vermeintlich für alle Ewigkeit festgegossenen Botschaft entkleidet. Statt unumstößlich und übermenschlich, unabänderlich und übermächtig zu erscheinen, werden sie zu prozesshaften Gestalten. Eine Interaktion der Denkmalskörpern mit den lebenden Körpern der BetrachterInnen, Konfrontationen und immer neue künstlerische Inversionen und 'mythographische' Interventionen ermöglichen veränderte Sichtweisen. |
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Eine Forschungsstelle, ein Ausstellungsraum und ein Internetforum sind integrale, unabdingbare Bestandteile in einem Park Postkolonial. Erinnern und Versöhnen - diese beiden Projektziele können nur mit einem intensiven transkulturellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Austausch mit den Ländern der ehemaligen deutschen Kolonien erreicht werden. Dieses entspricht dem partizipativen Ansatz. Genauso zentral soll die Problematisierung der Welthandelsbeziehungen heute und die Forderung nach Fair Trade sein, speziell hier für Waren, die in der Hafenstadt Hamburg ankommen. |
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Die Park-Idee wurde im Januar 2006 von der Grün-Alternativen Liste aufgegriffen. Vorgeschlagen wurde das Projekt für die Schloßinsel Harburg vor den Toren Hamburgs. Im Binnenhafen Harburg, wo aktuell der Senatsplan 'Wachsende Stadt - Sprung über die Elbe' im Zuge der Internationalen Bau- und Gartenausstellung große städtebauliche Änderungen vorsieht, war einst das Zentrum des kolonialen Handels mit Kautschuk, Elfenbein und Palmöl. Hiervon zeugen noch viele Spuren im Stadtbild: Gummiwarenfabriken, Palmspeicher, Reste von Gebäuden zu Verarbeitung von Elfenbein, Villen der Kaufmänner und Reeder u.a. |
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Die GAL-Vorlage, die den Senat zudem auffordert, Straßennamen kolonialen Ursprungs umzubenennen und ein Schulprogramm 'Hamburg lernt über die Kolonialgeschichte' zu entwickeln, wurde von der Bezirksversammlung Harburg mit den Stimmen des Koalitionspartners CDU befürwortet. Ebenso begrüßt die Kultursenatorin einen Park Postkolonial in Harburg. Am 23.02.06 wurde der Antrag an die Hamburgische Bürgerschaft jedoch von der CDU-Mehrheit leider abgelehnt. |
Die Diskussion über Hamburgs koloniale Vergangenheit und den Umgang damit heute geht dennoch weiter. |
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Dieser Text entstand anlässlich der Tagung Postkoloniales Deutschland - Erinnern und Versöhnen am 11./12.03.2006 in Königswinter, organisiert von DEPO Deutschland postkolonial (www.deutschland-postkolonial.de) |
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1) Roland Barthes: Mythen des Alltags. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1964 |
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2) Thomas Feuerstein: Anmerkungen zu PERSONENRUFE - EINE MEDIALE GEDENKTAFEL von ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT. www.kunstradio.at/PROJECTS/PERS_RUFE/feuerstein.html |
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3) Das Projekt afrika-hamburg.de war ein Teil eines umfangreichen Kulturprogramms, das in den zwei Gedenkjahren 2004 und 2005 die Arbeitsgruppe hamburg postkolonial (www.hamburg-postkolonial.de), bestehend aus verschiedenen Initiativgruppen (u.a. Eine Welt Netzwerk und CulturCooperation e.V.), durchgeführt hat. In der Veranstaltungsreihe Vom Togokai zum Tansania-Park wurden Lesungen, Vorträge, Tagungen, Ausstellungen, eine Filmreihe und Stadtrundgänge angeboten. |
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4) vgl. Thomas Morlang: "Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen." Der umstrittene 'Kolonialheld' Hermann von Wissmann. In: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hg.): "Macht und Anteil an der Weltherrschaft...". Berlin und der deutsche Kolonialismus. Münster: UNRAST-Verlag, 2005, www.unrast-verlag.de/unrast,2,219,13.html |
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vgl. auch Winfried Speitkamp: Der Totenkult um die Kolonialheroen des Deutschen Kaiserreichs. In: zeitenblicke 3, 2004, Nr. 1, www.historicum.net/zeitenblicke/2004/01/speitkamp/ |
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vgl. auch Joachim Zeller: "Deutschlands größter Afrikaner". Zur Geschichte der Denkmäler für Hermann von Wißmann. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12/1996 |
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5) Selbst Kunst kann mythenbildend wirken. Verschiedene Autoren betrachten das Verhältnis zwischen Kunst und Mythos recht unterschiedlich. Bei Theodor W. Adorno/Max Horksheimer (Dialektik der Aufklärung) ist der Zugang zu zeitgenössischen Mythen vor allem ein ästhetischer; die Mythen der Moderne erkennen sie hauptsächlich in Kunstwerken. Hans C. Blumenberg (Arbeit am Mythos) versteht Kunst als immer gegenwärtige Arbeit am Mythos und Christoph Jamme (Gott hat ein Gewand an. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythostheorien der Gegenwart) sieht Kunst als Alternative zum Mythos. |
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