Der Denkmalsturz ist ein Phänomen, das vermehrt in bürgerlichen Revolten und Revolutionen der Neuzeit auftauchte. Bis in unsere Tage setzt sich diese Protestform fort, etwa als im Osten Europas die sozialistischen Statuen beseitigt wurden oder im Irak die Standbilder Saddam Husseins.

In Hamburg wurden 1968 zwei Denkmäler gestürzt: die Bronzefigur Wißmanns und das Standbild Hans Dominiks. Andere Monumente, wie etwa der 'Kriegsklotz' am Dammtor, sind Dorn im Auge vieler StadtbewohnerInnen. Mit Gegendenkmälern und Nachdenkmälern haben AktivistInnen und KünstlerInnen an vielen Orten der Stadt auf solche unbeliebte Erinnerungszeichen reagiert.

 

 

Ein Denkmalstürzer bekennt sich

In seiner Ausgabe vom 31.10.2008 berichtet das Göttinger Tageblatt über den Sturz eines bronzenen Kolonialadlers. Nun hat sich der ehemalige KBW-Mitglied Rainer Fach dazu bekannt, vor 30 Jahren den Vogel gestohlen, zersägt und Teile vergraben zu haben.

Das Göttinger 'Südwestafrika-Denkmal', das 1910 zu Ehren von vier im Krieg gegen Herero und Nama 1904-1906 'für Kaiser und Reich' gefallenen deutschen Kolonialsoldaten errichtet wurde, ist ein steinerner Sockel. Darauf wurde 1913 eine Adlerfigur mit aufgebreiteten Flügeln montiert, die die Weltkugel krallt. Zur 25-Jahr-Denkmalfeier 1935 hieß es dann nach der Naziparole, der Adler warte "auf den Tag, an dem das Volk ohne Raum wieder Siedlungsland und Rohstoffland bekommen wird."

In der Zeit der 1968er Studentenunruhen wurde das Kolonialkriegermonument erstmals in Frage gestellt, und in der Folgezeit wurde wiederholt gefordert, das Monument abzubauen. Am 7. April 1978 haben Mitglieder des KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands) den Adler, ein 'Symbol finstersten Kolonialismus und Ausbeutertums', in einer 'anti-imperialistischen Aktion' abmontiert. Sein Bronzekopf wurde abgetrennt und am 1. Mai 1978 zugunsten der Befreiungsbewegung Simbabwes versteigert. Der Kopf blieb sodann 20 Jahre verschwunden.

Ab den 80er Jahren versuchte die GAL-Fraktion vergeblich, das steinernen Denkmalsockel mit der Texttafel in ein Mahnmal gegen Kolonialismus umzuwandeln. Die Stadt lehnte mit der Begründung ab, das Monument spiele "im öffentlichen Bewusstsein Göttingens weder früher noch heute eine besondere Rolle".

1999 tauchte der Adlerkopf wieder auf: als anonymes Geschenk an die Historiker Joachim Zeller und Werner Hillebrecht, die ihn in einem symbolischen Akt der Student History Society der Universität Windhoek, Namibia übergaben. Hillebrecht betonte in seiner Rede, dass in Deutschland und Namibia für die gefallenen deutschen Soldaten eine beträchtliche Zahl von Denkmälern errichtet worden waren, während es kein einziges Monument gibt, das die afrikanischen Opfer der deutschen Kolonialzeit memoriert. Es war von der Student History Society geplant, dem Adlerkopf einen Platz im Eingangsbereich der Universitätsbibliothek einzuräumen, wo er als 'antikolonialistisches Mahnmal' ausgestellt werden sollte, doch heute sucht man dort vergeblich nach dem Exponat.

2004 wurde der Adlerkopf im Rahmen der Ausstellung zum 100-jährigen Gedenken an den Völkermord an Herero und Nama in Berlin und Köln ausgestellt.

Erst im Januar 2007 brachte die Stadt Göttingen eine kolonialkritische Zusatztafel am Denkmal an. Tage zuvor hatten Unbekannte die koloniale Gedenktafel zerschlagen. Die rissige Marmorplatte wurde nun mit transparentem Plexiglas geschützt.

Der neue Tafeltext lautet: "Das Denkmal wurde 1910 für die Angehörigen der 'Schutztruppe' in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch Südwestafrika (heute Namibia) errichtet, die während des Krieges gegen die Herero und Nama (1904-1908) umkamen. In diesen von Seiten des Deutschen Reiches mit großer Rücksichtslosigkeit geführten Kämpfen fanden tausende Angehörige beider afrikanischer Völker den Tod. Der Krieg gegen die Herero und Nama gilt als eines der größten Verbrechen der deutsche Kolonialgeschichte. Das Denkmal bestand ursprünglich aus einem Steinsockel mit Widmungsplatte, der 1913 durch einen bronzenen Adler ergänzt wurde. Der Adler wurde 1978 entwendet, in Einzelteile zerlegt und zugunsten der Zimbabwe Africa National Union (Zanu) versteigert. 1999 wurde der Adlerkopf der Universität von Namibia übergeben, wo er zur Erinnerung an die Kolonialkriege und die Unterdrückung der Völker Afrikas und ihren Widerstand ausgestellt wird."

Rainer Fach, der sich jetzt zum Denkmalsturz bekennt, berichtet, er habe mit neun seiner KBW-Genossen den Adler-Klau geplant. Das rostlösende Caramba-Öl, das auch beim Sturz des Wißmann-Denkmals 1967/1968 vor der Universität Hamburg behilflich war, habe die Schrauben gelockert, wie Rainer Fach im Tageblatt erinnert.

Die Aktivisten hatten geplant, den Bronze-Adler einzuschmelzen und in einer selbst angefertigten Gußform Münzen zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes in Simbabwe herzustellen. Doch enttäuscht stellten die in der kalten April-Nacht angerückten Denkmalstürzer fest, dass der Vogel innen hohl war und die Weltkugel aus Blech; gerade 30-40 Kilo wog die Skulptur. Das Leichtgewicht wurde in einem PKW weg transportiert. Am frühen Morgen sägte Rainer Fach den Kopf ab, den Rumpf und die gekrallte Weltkugel vergrub er in einem Wald.

"Wir haben uns fürchterlich geärgert, dass niemand das Ding vermisst hat.", sagt Fach dem Göttinger Tageblatt. Es gab keinen Aufschrei in der Öffentlichkeit; die Aktion wurde verschwiegen und vergessen. Nun nach 30 Jahren ist der Fall verjährt. Die Weltkugel mit den Krallen bleibt verschwunden. Rainer Fach kann sich nicht mehr erinnern, wo er sie vergraben hat.

 

mehr > Joachim Zeller: 'Andauernde Auseinandersetzungen um das Kolonialkriegdenkmal in Göttingen - Eine Chronik' www.freiburg-postkolonial.de/seiten/goettingen-kolonialadler.htm

Der abgetrennte Adlerkopf

(Photo: Joachim Zeller)

Das Göttinger Kolonialkriegerdenkmal mit dem Adler

(Photoquelle: freiburg-postkolonial)

Vor dem Denkmal für Simon Bolivar in Windhoek übergeben Joachim Zeller und Werner Hillebrecht den Adlerkopf an die Vorsitzende der Student History Society, Abena Yeboah.

(Photoquelle: freiburg-postkolonial)

Das rostlösende Caramba-Öl half, Schrauben zu lockern. Das Mittel kam zum Einsatz sowohl beim Sturz des Wißmann-Denkmals 1967 vor der Universität Hamburg (im Bild) als auch bei der nächtlichen Entfernung des Kolonialadlers 1978 in Göttingen.

(Photo: Conti Press)

 

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