Wißmann, Wilhelm Leopold Ludwig Hermann von

preussischer Offizier, 'Schutztruppen'kommandant, Reichskommissar und Kolonialgouverneur von 'Deutsch-Ostafrika' (heute Tanzania, Ruanda, Burundi)

geb. 1853 in Frankfurt/Oder

gest. 1905 in Steiermark, Österreich

 

1881-82 durchquerte Wißmann als 'Afrikaforscher' mit Paul Pogge Luanda und Angola bis zur Ostküste. Im Auftrag des belgischen Königs Leopold II., der handfeste Interessen an Bodenschätzen und Handelswegen in dem in seinem Privatbesitz befindlichen Kolonie Kongo hatte, erforschte Wißmann Zentralafrika und durchreiste 1886-87 Afrika noch einmal.

Die hanseatischen Kaufleute und Reeder hatten schon im 18. Jahrhundert Afrika als Ressource für Bodenschätze und Arbeitskräfte entdeckt. Der transatlantische Dreieckshandel zwischen Afrika, den Amerikas und Hamburg, in dessen Zentrum das Geschäft mit versklavten Menschen stand, brachte für die Handelsherren einträgliche Gewinne. Kolonialgeschichte

Carl Peters war 1884 nach Ostafrika gezogen, um sich dort "einen Staat nach meinem Geschmack" zu gründen. Mit betrügerischen 'Schutzverträgen' hatte der 'Hänge-Peters' Genannte große Gebiete für die 'Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft' zusammengerafft und träumte fortan von einer deutschen Großkolonie, die sich als breiter Gürtel über ganz Zentralafrika bis hin zur Westküste erstrecken würde.

Nach der Berliner Afrika-Konferenz 1885 rief Bismarck das deutsche Protektorat aus. Wißmann bekam den Auftrag, die heftigen Widerstände der Kolonisierten an der Küste (sog. 'Araberaufstand') niederzuschlagen. Von 1888-91 war er Reichskommissar in Deutsch-Ostafrika. Er bildete er eine 'Wißmanntruppe' aus 1000 Askari (Söldnern), mehrheitlich aus Mosambik und dem Sudan. Auf sog. 'Strafexpeditionen' praktizierte er die brutale 'Taktik der verbrannten Erde': Dörfer wurden geplündert, Vorräte in Brand gesteckt und die gefangenen Menschen zur Arbeit auf den Plantagen der deutschen Siedler gezwungen.

Den Sieg über den antikolonialen Widerstand der Küstenbevölkerung verklärte die 'Kolonialbewegung' in Deutschland zur 'Sklavenbefreiung', Wißmann wurde ihr Protagonist. Faktisch ging es aber darum, die deutsche Kolonisation durchzusetzen. Die auf die Sklaverei folgende 'Kontraktarbeit' oder 'Tributarbeit', die die deutsche Kolonialverwaltung einführte, unterschied sich kaum von Leibeigenschaft; Zwangsarbeit und Prügelstrafe waren an der Tagesordnung. Die neuen Kolonialherren ließen Straßen und Eisenbahnen bauen, führten die Monokultur in der Landwirtschaft ein und zerstörten die Selbstversorgungswirtschaft der lokalen Bevölkerung.

1895-96 übernahm Wißmann nur für wenige Monate den Gouverneurssitz in Deutsch-Ostafrika. Gesundheitliche Gründe und der Groll darüber, dass ihm die Kommandatur über die 'Schutztruppe' entzogen wurde, bewogen ihn zur Rückkehr nach Europa, wo er auf seinem Gut in Steiermark in Österreich bei einem Schuß aus eigenem Gewehr ums Leben kam.

 

Leben und Persönlichkeit

In seiner Rostocker Garnisonszeit wurde er wegen Trunkenheitsdelikten und anderer Eskapaden der 'tolle Wißmann' genannt. Wegen einem Pistolenduell wurde er zu einer viermonatigen Festungshaft verurteilt.

Für seine Auftraggeber schrieb Wißmann Reisestudien aus Afrika und ein 'Handbuch für Kolonialbeamte'. Sein Text 'Zur Behandlung des Negers' zeigt seine rassistische Haltung deutlich. Zitate Fabian1 beschäftigt sich mit Wißmanns Drogenerfahrungen und stellt die 'neutrale Wissenschaftlichkeit' von Reisestudien, die bekiffte oder mit Fieber geplagte Forschungsreisende geschrieben hatten, grundsätzlich in Frage.

Wißmann und Pogge waren während ihrer Expeditionen dem Volkstamm der Bene Diamba ('Söhne des Hanfs') begegnet: "Die jungen, zum Theil recht hübschen Mädchen brachten eine große Pfeife herbei, die im Kreise herumging, und aus der jeder einige Züge thun musste... keine Annehmlichkeit war, mit der ganzen schwarzen Sippschaft dieselbe Pfeife zu benutzen."

Fabian führt weiter aus, dass Wißmann insgesamt fünf Jahre als Gast bei den Bene Diamba verbrachte und Blutsbrüderschaft mit dem mächtigen, aufgeklärten König Kalamba Mukenge schloß. Wißmann ließ jedoch seine Freunde schnell fallen, als es ihm kolonialpolitisch opportun erschien. So ließ verständlicherweise die Begeisterung für Europäer beim König und Volk rapide nach. Die Enttäuschung und das Mißtrauen trugen später zu einer der konfliktreichsten ethnischen Auseinandersetzungen bei. Wißmanns erster Auftraggeber, die belgische Kolonialverwaltung, setzte auf andere Völker, die freundlicher gesinnt waren und ignorierte dabei ältere territoriale Rechte. 1959 entlud sich der Konflikt in einem Massaker - eine der vielen postkolonialen Konflikte in Afrika, die bis heute auswirken.

Nicht so langfristig, doch ebenso verhängnisvoll hatte ein zweites 'Vermächtnis' Wißmanns Folgen für Ostafrika. In seiner Amtszeit als Kolonialgouverneur führte er eine Hüttensteuer ein, deren spätere Verschärfung (Kopfsteuer) schließlich ein gewichtiger Grund war für den Ausbruch des antikolonialen Maji-Maji-Krieges (1905-1907), bei dem schätzungsweise 100.000 bis 300.000 AfrikanerInnen ums Leben kamen. Genauere Zahlen über die zivilen Opfer auf afrikanischer Seite sind nicht überliefert, wie so oft in Kolonialkriegen. Wißmann selbst sollte die Kämpfe nicht mehr erleben, denn er starb zuvor.

Um den Tod von Wißmann ranken sich Mythen und Legenden. War er der 'Kolumbusnatur' nach der 'Alexanderart', ein Mann 'mit zehn Sinnen und vierzigfachem Verstande', wie in pathetischen Nachrufen beschrieben? Starb er bei einem Jagdunfall oder hat er sich doch das Leben genommen? Speitkamp2 zeigt, dass sich Wissmann, wie viele andere 'Afrikapioniere' seiner Zeit, letzten Endes von der Reichsregierung im Stich gelassen fühlten, als diese der Kolonialbegeisterung mehr oder weniger skeptisch gegenüber stand und ihre Taten nicht gebührend feierte. War er also in Wirklichkeit ein enttäuschter, gesundheitlich angeschlagener und morphiumsüchtiger Mann, der seinem Leben ein Ende gesetzt habe, wie ihn ein Nachruf schildert?

 

1 Fabian, Johannes: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München 2001

2 Speitkamp, Winfried: Der Totenkult um die Kolonialheroen des Deutschen Kaiserreichs in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 1 (29.07.2004) zeitenblicke.historicum.net/2004/01/speitkamp/index.html

s.a. Thomas Morlang: "Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen". Der umstrittene 'Kolonialheld' Hermann von Wissmann, hier auf der Webseite und in: "Macht und Anteil an der Weltherrschaft. Berlin und der deutsche Kolonialismus", Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hg.), UNRAST-Verlag, Münster, voraussichtlich Herbst 2005

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