25.11.2010
Neuerscheinung: Michael Pommerenings Buch
'Wandsbek. Ein historischer Rundgang' -
ein Lesezeichen
 
Heimatkundliche Krokodilstränen
 
Die Schimmelmann-Büste haben öffentliche Proteste vom Sockel geholt. Mit leicht blessiertem Stolz feiert indes Wandsbek den Sklavenhändler unbeirrt weiter.
 
 
B.: ... ich wünsche, daß die Wahrheit weiß sei; wenn sie aber schwarz ist, lasse ich sie mir nicht weiß machen.
A.: Bravo! Wer sie erst weiß machen will, in dessen Händen muß sie noch nicht weiß sein. Und, beiläufig hier gesagt, diese Weißmacher tun der Wahrheit einen schlechten Dienst.
Matthias Claudius: "Gespräche, die Freiheit betreffen", Wandsbecker Bothe 1790
 
 
Das Entree der Buchhandlung im weihnachtlich geschmückten Einkaufszentrum 'Quarree' in Hamburgs nordöstlichem Stadtteil Wandsbek lockt Passanten mit hohen Stapeln des signalrot leuchtenden Buches 'Wandsbek. Ein historischer Rundgang' von Michael Pommerening. Beim Blättern bleibt das Auge auf einer unscharfen Fotomontage von der ebenfalls signalrot beschmierten Schimmelmann-Büste haften. Blutkapitalist? Wird hier kritische Aufarbeitung der älteren und jüngsten Stadtteilgeschichte betrieben? Mitnichten.
 
2006 hatte die Aufstellung einer neu gestalteten Büste für Heinrich Carl von Schimmelmann (1724-1782), eine zentrale Figur im transatlantischen Sklavenhandel, die Gemüter hoch kochen lassen. Die Wut der Öffentlichkeit richtete sich gegen die unreflektierte Lobhudelei, mit der Bezirksamtsleiter und Kultursenatorin Bronzekopf und Tafeltext eingeweiht hatten. Wegen des anhaltenden öffentlichen Widerstands wurde das Konterfei 2008 kleinlaut abgebaut.
 
Von allen Seiten hatte es nur so von Protesten gehagelt. Nachfahren von einst versklavten Menschen sowie die Black Community Hamburg (www.black-hamburg.de), wachgeistige BürgerInnen und BezirkspolitikerInnen demonstrierten wiederholt vor Ort. "Eine Skulptur hat einen ehrenden Charakter. Mir kann keiner erzählen, dass sie aufgestellt wurde, um eine kritische Diskussion zu entfachen", notierte damals Olaf Duge, GAL Wandsbek. "Der fast zwei Jahre andauernde, gescheiterte Versuch, die kolonialen Verbrechen Schimmelmanns ... zu verharmlosen und die fadenscheinige Behauptung, mit dem Denkmal bewusst einen öffentlichen Diskurs angestrebt zu haben, waren unhistorisch, absurd und peinlich", kommentierte Rainer Schünemann, SPD Wandsbek. Victoria B. Robinson von der Black Community schrieb: "It ain‘t over before it‘s gone ... Das Denkmal steht noch immer und wir haben das nicht vergessen und uns auch nicht damit abgefunden." (black-print.blogspot.com)
 
Im Rahmen des Projekts wandsbektransformance. Die Gegenwart des Kolonialen 2007/2008 fokussierten in Hamburg lebende KünstlerInnen die historische Infrastruktur Schimmelmannscher Prägung im Bezirk, nahmen die herrschende Geschichtsauffassung kritisch unter die Lupe und kreierten temporäre postkoloniale Nach-Denkmalräume mit Schulklassen, MigrantInnen und StadtteilbewohnerInnen.
 
Bei ihrer Recherche entdeckten die Kunstschaffenden auch den vom Hobbyhistoriker Pommerening entwickelten Wandsbeker 'Historischen Rundgang', der seit 1998 mit 49 auffallenden rosaroten Texttafeln durch den Stadtteil leitet. Der Rundgang entpuppte sich als eine Führung zur Würdigung von zuweilen dubiosen Heimatfiguren und miesen Geschäftspraktiken auf der einen und des Ausblendens, Verdrängens und Vergessens der unerfreulichen Aspekte der Stadtteilgeschichte auf der anderen Seite. Die zentralen Kausalwirkungen zwischen dem weit ausgreifenden globalen Menschenhandel und dem lukrativen 'Überseegeschäft' sowie der Entwicklung des dänischen Dorfes Wandsbek, das allmählich zu einem wohlhabenden Marktflecken wuchs und dann - in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - zu einer florierenden Stadt, bleiben dabei unerwähnt. Das Wandsbek-Buch, das die Inhalte der rosa Tafeltexte wiedergibt und erweitert, setzt nun die Geschichtsklitterung fort.
 
Heute ringt Hamburg-Wandsbek um seine Identität. Der weitläufige Stadtteil hat keinen historisch gewachsenen Kern mehr. Die Shopping Mall liegt an der mehrspurig befahrenen Wandsbeker Marktstraße, und überhaupt ist der Stadtteil von hektischen Verkehrsadern zerschnitten. Der vor einigen Jahren mit viel Geld hergerichtete Puvogelgarten, in dem die Schimmelmann-Büste aufgesockelt stand, ist eine mit traurigen Efeupflanzen und winterfesten Sträuchen spärlich bewachsene Verkehrsinsel.
 
Verständlich, dass die Bezirkspolitik nach Identifikationsfiguren aus der schillernden Vergangenheit sucht. Und in der Tat, man wird fündig: berühmte Persönlichkeiten, auch Humanisten, haben in Wandsbek kurz oder lang gelebt. Matthias Claudius verfasste hier Texte über die Freiheit. Auch Heinrich Heine hielt sich auf in Wandsbek. Zu seinem Werk gehört das Gedicht 'Das Sklavenschiff', das einen geldgierigen Sklavenhändler satirisch attackiert. Im Wandsbeker Rathaus heiratete Martha Bernays Sigmund Freud. Ihrer könnte doch würdigend gedacht werden. Dass aber im Heimatmuseum und Bezirksamt, in Büchern oder Jubiläumsschriften, mit Denkmälern oder Straßennamen, an Fabriken und Versatzstücken von Schlossresten ausgerechnet Sklavenhändler und koloniale Handelsherren noch heute ganz ungeniert als imageträchtige 'Wohltäter' hoch gehalten werden, zeugt von einem Geschichtsbewusstsein, das jede Reflektion über die Verbrechen des Kolonialismus und Sklavenhandels vermissen lässt.
 
Solch unzeitgemäße Erinnerungskultur findet nun seine Erweiterung im neuen Buch des Heimatkundlers Pommerening. Unter dem Titel 'Heftiger Streit - um eine Büste' unternimmt er den Versuch, die Aufstellung der Büste nachträglich zu legitimieren, indem er aufführt, dass die Gestaltung doch die "Zwiespältigkeit seiner Persönlichkeit deutlich zu machen versuchte" und dass "auch im Begleittext auf seine Position als Sklavenhalter verwiesen" worden wäre. Der Verfasser schreibt weiter: "Historiker [sic!] argumentieren dagegen, man dürfe einen Menschen immer nur aus seiner Zeit heraus beurteilen und bewerten. Sie verweisen auf Personen der Zeitgeschichte wie Karl den Großen (Verdener Blutgericht), Barbarossa (Kreuzzüge), Peter den Großen (St. Petersburger Opfer), Otto von Bismarck (zwei Kriege angefangen) oder auch Winston Churchill (Bombenterror) oder auf George Washington und Benjamin Franklin, die ebenfalls zahlreiche Sklaven hielten. Bedauerlich erscheint auf jeden Fall, dass durch die Entfernung der Büste eine Diskussion eines Themas wie Sklaverei beispielsweise in den Schulen in Wandsbek nicht mehr stattfindet." Und so oder so sei Schimmelmann ja 'bloß' ein Sklavenhalter gewesen - eben einer unter Vielen - und in seiner Zeit wäre ja Sklaverei eh akzeptiert gewesen.
 
Stimmt das so? Welche "Historiker" sollen hier pauschal für die weiße Weste der Sklavenhändler herhalten? Mit welcher Zielsetzung würfelt Pommerening Kreuzzüge, Kriege und Schlachtfelder der westlichen Geschichte wild zusammen? Was sollen Barbarossa und Bismarck hier? Würden wir heute für sie ein neues Denkmal errichten? Wohl kaum. Der Gedanke liegt nahe, dass hier das eine Verbrechen mit Verweis auf andere relativiert und Schimmelmanns menschenverachtendes Geschäft verharmlost werden soll. Und offensichtlich versucht der Buchautor, sein gestriges Geschichtsbild mit vermeintlichem Expertenwissen zu untermauern. Dabei verkennt er, dass sich die Geschichtswissenschaften nicht mit solch diffusen, ahistorischen Szenarien befassen.
 
Spätestens mit dem Argument, man dürfe "einen Menschen immer nur aus seiner Zeit heraus beurteilen und bewerten" entlarvt sich das Geschichtsbewusstsein Pommerenings als ausgeprägt eurozentrisch, wohl in Unkenntnis darüber oder zumindest blind dafür, dass Erinnerungskulturen auch in Afrika, der Karibik und den Amerikas existieren. Mit ganz anderen Perspektiven als die weissen Europäer erforschen die People of Colour die Geschichte der Opfer, des antikolonialen Widerstands und der Befreiung vom Kolonialismus. Aus gutem Grund errichten sie ihren historischen Persönlichkeiten würdigende Denkmäler.
 
Denkt man die verquere These des Heimatkundlers weiter, dann wäre es ja konsequenterweise auch zulässig, die Nationalsozialisten "immer nur" aus ihrer Epoche heraus zu bewerten und nicht aus heutiger Sicht. Demnach würde im benachbarten Schiffbek sicherlich noch eine Horst-Wessel-Straße existieren. Wie gut, dass sie heute Julius-Campe-Weg heißt nach dem liberal gesinnten Hamburger Verleger und Freund Heinrich Heines.
 
Es wird höchste Zeit, die Heinrich Carl Schimmelmann (und nicht die Familie, wie zuweilen fälschlicherweise angenommen) ehrende Straße umzubenennen. An Namensvorschlägen fehlte es nicht, denn der Kaufmann Schimmelmann hat die (zwangsweise europäisierten) Namen seiner Opfer penibel auf Schiffslisten und Geschäftsbüchern aufschreiben lassen - neben Gerätschaften und Vieh. 1765 schrieb der Menschenhändler seinen Plantagenverwaltern vor, er wünsche "von jedem Stück das Geschlecht, die Namen und den Wert." Das 'Besitzzeichen' wurde auf der Haut gebrandmarkt. Inventarvermerk im Verzeichnis der Schimmelmann-Plantagen, Westindien, 1775: "1 Brenneisen, um die Zuckerfässer zu brennen, 1 silbernes Instrument, die neuen gekauften Neger mit zu marquiren mit dem Buchstab BvS" - Baron von Schimmelmann. Der Plantagenschreiber, Rapport an Schimmelmann 1773: "Mir ... ist es eine Wollust, wenn der Wind wehet, die Mühlen gehen und wir brav Zucker und Rum machen."
 
Wie wäre es, die Schimmelmannstraße in Emiliane-Regina-Straße umzubenennen? Damit würde an die Frau erinnert, die Schimmelmann für seinen Neffen Heinrich Ludwig und dessen Frau Henriette von Westindien nach Europa verschleppte und die im Haushalt der Familie unfrei arbeiten musste? Oder mit einer Hans-Jonathan-Straße, den Mann würdigend, der die harten 'Züchtigungen' Henriettes erleiden musste. Ihm gelang die Flucht, und er schaffte es bis nach Island, wo er heiratete. Heute hat er über 300 Nachkommen, die eine gemeinsame Webseite betreiben und die auf den Spuren ihres Urgroßvaters die Jungferninseln besuchen. Sie würden sich zweifelsohne auf eine Hans-Jonathan-Straße in Wandsbek freuen. Für die Schimmelmannallee (so benannt 1951), den Schimmelmannstieg (ab 1945) und die Schatzmeisterstraße (ab 1950) gäbe es ebenfalls Namensalternativen aus der langen Liste derjenigen, die in Wandsbek versklavt dienen mussten und denen ein ehrender Platz in der Stadtteilgeschichte angemessen wäre.
 
Folgt man den Gedanken zu Ende, dass Menschen "immer nur aus ihrer Epoche heraus zu beurteilen" seien, stößt man schnell auf weitere Weißwaschungen in den aktuell existierenden Wandsbeker Heimatlegenden: zum Beispiel auf die These, dass Sklaverei zu Schimmelmanns Zeiten noch nicht geächtet gewesen wäre. Erst im Verlauf der Aufklärung im späten 18. Jahrhunderts sei eine starke Abolitionsbewegung entstanden, die dann zögerlich Verbote erreicht habe. Diese Annahme ist ein Irrtum und erscheint auch aus der Opferperspektive geradezu absurd und abwägig. Dies bekräftigte die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001: "Wir erkennen ... an, dass Sklaverei und Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind und zu allen Zeiten als solches hätten gelten sollen, insbesondere der transatlantische Sklavenhandel, und dass sie zu den Hauptursachen ... des Rassismus ... zählen. ... Wir fordern die betreffenden Staaten auf, den Opfern der Tragödien der Vergangenheit ein ehrendes Andenken zu bewahren und zu bekräftigen ..."
 
Bereits im frühen 16. Jahrhundert haben zahlreiche prominente Persönlichkeiten gegen die Sklaverei protestiert. So erließ 1537 Papst Paul III die weit verbreitete Bulle 'Sublimis Deus', die eine deutliche Kritik an der Sklaverei übt. Der Bischof Las Casas sprach sich 1540 zunächst für die Versklavung von AfrikanerInnen aus, um die südamerikanischen Indigenen vor den europäischen Häschern zu schützen. In seinen letzten Jahren wurde er ein entschiedener Gegner jeglicher Art von Freiheitsberaubung. Zu Schimmelmanns Lebzeiten hoben zahlreiche Missionare, Quäker und Jesuiten sowie auch Schwarze und weiße Methodisten und Baptisten weltweit ihre Stimme gegen die Unmenschlichkeit, genauso die Gelehrten Montesquieu, Diderot, Rousseau, Samuel Johnson und andere. Das Theaterstück 'Oroonoko' der berühmten Dramaturgin Aphra Behn machte 1680 Furore. Und selbst Ex-Sklavenhändler wie der Franzose John Barbot, der Italiener Franceso Carletti und der Engländer John Newton schrieben gegen ihr eigenes Metier.
 
Diese Kritiker konnten indes Schimmelmann und seine 'aufgeklärten' kaufmännischen Zeitgenossen nicht daran hindern, ihrem unsauberen Geschäft nachzugehen. Während in Wandsbek und Kopenhagen, Hamburg und Altona von den Handelsherren geförderte Dichter und Denker inständige Freiheitsreden schwangen, erließ die Dänisch-Westindisch-Guineische Handelskompanie für die Plantageninseln das Strafreglement 'St. John Slave Code' - ein unvergleichlich brutales Regelwerk, das schlimmste, mittelalterlich anmutende Strafen für entlaufene Sklaven vorsah: Folter mit glühenden Zangen, Amputation von Ohr, Hand, Arm oder Bein, Kastration, Rädern, Exekution, Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Darauf folgend brach ein Aufstand auf, dessen blutige Niederschlagung Hunderte von Suiziden unter den Widerständigen zur Folge hatte. Erst 1848 konnte eine Rebellion von 8000 Versklavten unter der Führung des Zuckerkochers Moses Gottlieb alias General Buddo die Freiheit bringen. Beide Ereignisse haben ihren festen Platz in der karibischen Erinnerungskultur. Und so kommt es, dass Buddo mit einer Bronzebüste und einem Parknamen in Frederiksted auf St. Croix gewürdigt wird.
 
Auch in der unmittelbaren Umgebung Schimmelmanns fehlte es nicht an Sklavereigegnern: der Arzt und Naturkundler Paul Erdmann Isert, der auf einem der dänischen Sklavenschiffe fuhr und sich in Guinea und auf St. Croix beobachtend aufhielt, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er wurde ein entschiedener Gegner des Schimmelmannschen transatlantischen Sklavenhandels. Johann Friedrich Struensee, Leibarzt des dänischen Königs am Hof, prangerte die Sklaverei als unmenschlich an. Und selbst Matthias Claudius - mit der Herausgabe der Zeitung 'Wandsbecker Bothe' bei Schimmelmann in Lohn und Brot - veröffentlichte 1773 das Gedicht 'Der Schwarze in der Zuckerplantage', das als erste Kritik an der Sklaverei durch einen deutschen Lyriker gilt.
 
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts meldeten sich freie Schwarze AutorInnen wie Mary Prince, Mary Seacole, Ignatiu Sancho, Ottobah Cugoano, Olaudah Equiano, Jupiter Hammon, Phillis Wheatley, Ukawsaw Gronni Osaw und zahlreiche andere zu Wort - in einer Zeit, in der Schimmelmanns Sohn Ernst gerade erst anfing, recht halbherzige 'Reformen' auf seinen Plantagen einzuführen. Die Sklaverei war politisch und moralisch nicht mehr zu verteidigen. Im Zuge der Industrialisierung wurde die Plantagenwirtschaft allmählich unrentabel, und der Rohstoffreichtum Afrikas geriet in den Blick der Handelsherren.
 
Im Buchkapitel unter dem Titel "Motor des Fortschritts" geht Pommerening der historischen Bedeutung des Straßennamens Kattunbleiche nach, auch hier nur mit halber Wahrheit. Am Fluss Wandse, auf riesigen Wiesenflächen bleichten und färbten einst die Wandsbeker Unternehmer große Mengen Baumwolle (was nebenbei zu erheblicher Wasserverschmutzung führte). Im Buch und auf der entsprechenden rosaroten Tafel bleibt unerwähnt, dass sich für "den begehrten Rohstoff" Kattun versklavte Menschen auf Plantagen Westindiens abrackern mussten. Stattdessen wird gelobt, dass es Schimmelmann gelang, "die Baumwollstoffe mit hohem Gewinn ... nach Afrika [zu] verkaufen". Der "Gewinn", der hier gemeint ist, waren im Klartext Menschen. Schimmelmann verschiffte bunt bedruckte Baumwolle ('Negertuch' genannt), um diesen in Afrika gegen Verschleppte zu tauschen.
Avanzo: 100 %.
 
Um 1790 schrieb der Reisende Theophil Friedrich Ehrmann, es würden für den "Sklaven Makula von zwei und zwanzig Jahren, dreißig Stück in folgenden Waaren" bezahlt: Ein Stück gefärbten Kattuns, zwei andere Stücke von dunkelblau gefärbtem Kattun, ein Chasselat und Bajuta-peau jedes zu vierzehn Ellen, ein Neganopeau von vierzehn Ellen, eine große Rikane, ein Stück von Schupftüchern, eine Baguette (ohngefähr fünf viertel Elle groben Wollenzeuchs), ein Gürtel von rothem Tuche, zwei gemeine Flinten, zwei Fässchen Schießpulver. zwei Säckchen von Kugeln und Hagel, zwei Säbel, zwei Dutzend Messer, zwei Stangen Eisen, fünf Töpfe von Fajance, vier Fäßer Branntwein, zehn Weihen von Glasstücken, aus denen man Rosenkränze macht, endlich dem Makler für seine Mühe, den Werth von sechs Stücken in Flinten, Schieß-Pulver, Säbeln, Branntwein usw.
 
Wie von all dem nichts ahnend, feiert Pommerening den Kattundruck als "florierenden Betrieb", die Fabrikanten als "geschickte Unternehmensführer", denen zins- und tilgungsfreie Darlehen und sogar Steuerfreiheit gewährt wurde. Peter von Lengercke und Johannes Moojer, die sich als Baumwollgroßproduzenten im transatlantischen Sklavenhandel bereicherten, werden an den Ufern der Wandse mit Straßennamen geehrt.
 
Über historisch belegte Fakten zur menschenverachtenden Praxis des Sklavenhandels verliert das Wandsbek-Buch kein Wort. Würde es sich bloß um Tücken und Lücken in der Legendenbildung eines einzelnen Laienforschers handeln - halb so schlimm. Aber mit den sich allgegenwärtig manifestierenden rosaroten Texttafeln im öffentlichen Raum geht es um nichts weniger als um Deutungshoheit in der Stadt. Mit Rückendeckung der Bezirksamtsleitung und einigen Firmensponsoren vor Ort.
 
Wie gewohnt bekommt die geschichtsklitterde Heimatkunde auch jetzt tatkräftige Schützenhilfe aus dem Rathaus Wandsbek. Zur Buchpräsentation am 3.11.2010 im Einkaufszentrum 'Quarree' eilte die aus Kolumbien stammende Bezirksamtsleiterin Cornelia Schroeder-Piller, um eine Laudatio zu halten, in der sie dem Autor Michael Pommerening einen großen Dank und ihre Anerkennung aussprach, "denn mit dem 'Historischen Rundgang', den er 1998 ins Leben rief und den er nun als Buch veröffentlicht, trägt er in besonderer Weise zum Geschichtsbewusstsein und zur Identifikation vieler Menschen mit dem Stadtteil Wandsbek bei." Auch wurde dem agilen Heimatkundler Pommerening 2004 die Hamburger Ehrenmedaille 'Portugaleser' und vor einigen Monaten das Bundesverdienstkreuz verliehen.
 
Auf die Nachfrage nach qualifizierter Forschung kam die lapidare Antwort von der damaligen Kultursenatorin Karin von Welck, die Stadtteilgeschichte - das Globale im Lokalen inbegriffen - sei reine Bezirksangelegenheit. Schön und gut, aber wo finden wir ExpertInnen in den Stadtteilen, die in der Lage sind, auf der Höhe der zeitgenössischen Geschichtswissenschaften komplexe Sachverhalte zu erforschen und der Öffentlichkeit reflektiert zu vermitteln? Die Stadt Hamburg, die sich als weltoffen bezeichnet, ist Städtepartnerschaften in Afrika, Lateinamerika und China eingegangen. Damit ist es an der Zeit, die Pfeffersackmentalität weit hinter sich zu lassen und sich - fachlich angemessen - mit der gemeinsamen Geschichte auseinander zu setzen.
 
Der Nobelpreisträger V.S. Naipaul prangert den doppelzüngigen Umgang mit Geschichte und Gedenken an: "Die Europäer wollten Gold und Sklaven ...: aber zur selben Zeit wollten sie sich als Menschen, die Gutes für die Sklaven getan hatten, Denkmäler errichten. Da sie intelligent und energisch waren und auf der Höhe ihrer Macht, konnten sie beide Seiten ihrer Zivilisation zur Geltung bringen; und sie bekamen sowohl die Sklaven als auch die Denkmäler." Es wird Zeit, solch schizophrene Erinnerungskultur zu überdenken, aus gutem Grunde, denn - frei nach Freud - (kollektive) Verdrängung ist ein leidvoller Wiedergänger.
 
Für den Gabentisch bestelle ich das Buch von Christian Degn aus dem Jahr 1984: "Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel. Gewinn und Gewissen." Und die Autobiografie "Merkwürdige Lebensgeschichte des Sklaven Olaudah Equiano: von ihm selbst veröffentlicht im Jahre 1789" - beide antiquarisch.
 

Stapelt in der weihnachtlichen Buchhandlung: 'Wandsbek. Ein historischer Rundgang' von Michael Pommerening
 

Die Black Community Hamburg protestierte wiederholt vor der Schimmelmann-Büste.

 

Kopf des Anstoßes: die Schimmelmann-Büste am Wandsbek-Markt, 2008 vom Sockel geholt. In seinem neuen Wandsbek-Buch lässt sich der Autor Michael Pommerening zu der Aussage hinreißen, dass ohne die öffentliche Zurschaustellung des Schimmelmann-Denkmals das Thema Sklaverei nicht mehr an Wandsbeks Schulen behandelt würde. Eine schlichtweg unsinnige Behauptung. Die Schulcurricula können sehr gut ohne ehrende Kolonialdenkmäler auskommen, denn das Geschichtsbild, das in den Schulen unterrichtet wird, ist - im Gegensatz zu den in Wandsbek gehegten Heimatlegenden - definitiv postkolonial. Die Gegner der Schimmelmann-Büste leisten engagierte Arbeit an Schulen. Es schadet allerdings ihrer pädagogischen Arbeit nachhaltig, wenn die Bezirkspolitik zulässt, falsche Vorbilder aufzustellen. "Den Täter ... intellektuell und mythologisch aufzurüschen und gleichzeitig für unschuldig ... zu erklären, das ist Legendenbildung.", notiert der Schriftsteller John Littell. Den Täter Schimmelmann mit einer Büste auf den Sockel zu stellen und zu behaupten, die Zwiespältigkeit wäre für Alle sichtbar ins Bild gehauen, das ist entweder ästhetische Irrfahrt oder euphemistische Heuchelei.

 

Texttafel für die Schimmelmann-Büste. Kritisiert wurde, dass 'Sklaven' beiläufig in Klammern und wie auf einer Warenliste unter 'weiteren Kolonialgütern' erwähnt wurden. Erneut wird hier der Mensch zynisch zur Ware deklariert. Aus Protest wurde das Wort 'Sklave' zerkratzt.

 

 
 
Wer war denn der in Wandsbek geehrte Heinrich Carl Schimmelmann?
Ein Emporkömmling aus Demmin, der es auf der Karriereleiter zum königlichen Schatzmeister (Finanzminister) und Kommerzienrat des dänischen Königs schaffte. Für seine 'Verdienste' für die Dänisch-Westindisch-Guineische Handelskompanie wurde er zum Grafen geadelt. Nicht allein durch Sklavenhalterei - wie im Wandsbek-Buch behauptet wird - sondern vor allem durch den global betriebenen Sklavenhandel wurde Schimmelmann zu einem der reichsten Männer Europas. Das Finanzgenie wusste seine Wirtschaftsinteressen zwischen den Kontinenten perfekt zu meistern. Das perfide Geschäft brachte Millionen ein, so dass er und seine Geschäftspartner aus dem kleinen Dänemark einen reichen und mächtigen Staat mit ausgreifenden Kolonialinteressen machen konnten und aus dem damals dänischen Wandsbek ein blühendes Wirtschaftszentrum.
 
Das 'System Schimmelmann' beruhte auf dem transatlantischen Dreieckshandel zwischen Wandsbek/Schleswig-Holstein/Kopenhagen, der Küste Guineas (heute Togo, Benin, Ghana und das westliche Nigeria) und den karibischen/westindischen Jungferninseln St. Croix, St. Thomas und St. Jan (John). Baumwolltuch, Schnaps und Waffen verschiffte er von Wandsbek und Dänemark nach Guinea. Dort wurden in seinen Küstenforts die Waren gegen gefangen genommene AfrikanerInnen getauscht, die dann per Schiff über den Atlantik zu seinen Sklavenplantagen auf den Jungferninseln gebracht wurden. Von dort kamen Baumwolle, Zucker, Rum, Tabak, Indigo u.a. Kolonialwaren nach Wandsbek, aus Afrika direkt Gold und Elfenbein. Im großen Stil betrieb Schimmelmann den Weiterverkauf von Menschen an die Plantagenbesitzer in den Amerikas sowie die Adligen und Reichen in Europa. Die Familie samt Angeheiratete besaß haufenweise Aktien an den kolonisierenden Handelskompanien zwischen Indien und der Karibik. Das Wirtschaftsimperium Schimmelmanns in Dänemark bestand aus der größten Zuckerraffinerie des Nordens in Kopenhagen, einer Gewehrfabrik in Hellebaek, einer Brauerei und vier Kattunfabriken in Wandsbek. Den Schnaps als Tauschware für die Guineafahrt destillierte der Geschäftspartner Johann Peter Heinrich Helbing aus des Grafen Roggen.
 
Der immens reich gewordene Menschenschinder wusste sich in Szene zu setzen mit Pomp, Pracht und Performanz in seinen acht Schlössern zwischen Dänemark und Berlin, Hamburg und Wandsbek. Der Baron schwelgte im barocken Luxus und veranstaltete rauschende Maskenbälle in teuren Interieurs mit seidenen Tapeten, englischen Möbeln, mit Marmor, Porzellan und Brokat, mit Rosenholz, Brasilholz und Palisander, zwischen Gärten, Lusthäuschen und Orangerien. Ein Besuch im Ahrensburger Schloss vermittelt einen Abglanz dieser exklusiven Welt. Der Ideale Stadtführer, gedruckt in Hamburg 1775, beschreibt die Umgebung des Wandsbeker Schlosses: "Beyspiele schöner Gärten. Freyherr Heinrich Carl von Schimmelmann nicht nur am Schlosse einen mit vielem Geschmack geordneten Garten, sondern auch im Gehölze eine schattige Eremitage von unbeschreiblicher Reizung und Anmut ... weiß man ... Bildsäulen, Mohren, Pilaren, Gruppen... welche die Lampen-Kugel halten, anzubringen, ... wie solches ... in Hamburg vor dem Freyherrl. Schimmelmannischen Palais erblicket." Das Schloss wurde 1861 vom Nachfolger abgerissen, der Rest des einst prachtvollen Parks ist heute ein Ziel für Spaziergänger.
 
Schimmelmanns Nachlass: acht Millionen Reichstaler, Schlösser, Herrenhäuser, Kaufmannsspeicher, Schiffe, Gutsbesitz in Schleswig-Holstein und Dänemark, Fabriken, Eigentum an Plantagen in Westindien, Zuckermühlen; Aktienanteile an ostindischen Kompanien in Tranquebar Indien und Trinquemale Ceylon - die Liste ließe sich fortsetzen. Versklavte Menschen mussten auf seinen Plantagen arbeiten. Leibeigene Bauern kultivierten sein Land auf den hiesigen Gutshöfen, und Kinder aus dem Subproletariat schufteten in seinen Wandsbeker Kattunfabriken.
 
 

Aus Protest wurde das Schimmelmann-Denkmal mehrfach mit roter Farbe übergossen. Anschläge von Einzeltätern, hieß es aus Wandsbek, und die wiederholte Reinigung sei zu teuer geworden, deshalb hätte die Büste entfernt werden müssen. Der wahre Grund: erst nach langem Zögern konnten die Vertreter der im Bezirk regierenden Parteien CDU und FDP die Peinlichkeit erkennen und die Tatsache, dass es eine breite Öffentlichkeit in Hamburg gibt, die mit der ehrenden Aufstellung des Sklavenhändlers nicht einverstanden war. Pommerenings Wandsbek-Buch zeigt nicht das hier gezeigte Bild, sondern eine unscharfe Fotomontage des rot beschmierten Kopfes in einer falschen Umgebung. So genau nimmt es das Buch und der 'Historische Rundgang' mit Zeit, Ort , Geschichte und Wahrheit ohnehin nicht ...

 

... denn diese Sandsteinlöwen am Wandsbek-Markt, so wird den Stadtteilbewohnern weisgemacht, seien seit 1943 unter Denkmalschutz. In Wirklichkeit sind es Kopien, mit denen sich die Stadtteilbevölkerung zufrieden geben muss. Die echten Löwenfiguren, die vom Garten des Schimmelmannschen Schlosses übrig blieben und heute öffentliches Eigentum sind, stehen in der Eingangshalle des Wandsbeker Sitzes des Weltkonzerns Imtech, der sich als Sponsor für die Schimmelmann-Büste hervortat. Ebenso stutzt der historisch interessierte Spaziergänger über den Text auf einer weiteren rosaroten Tafel, nämlich am Haus von Johann Henrich Voss in der Straße Hinterm Stern 20. Es steht zu lesen, dass dort der Dichter in den Jahren 1777/1778 wohnte. Das Gebäude ist aber aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
 
 

Osu Castle in Accra, Haupstadt Ghanas. Früher hieß das Fort Christiansborg zu Ehren des dänischen Königs und war eine der Sklavenfestungen Schimmelmanns. Heute ist Osu Castle Sitz des Parlaments und weiträumig abgesperrt. In den nächsten Jahren soll die Feste zum Museum umgebaut werden.
 

 

 

 

 

 

 

 

Text und Photos: Jokinen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Willkommen _|_Projekt _|_Abstimmung_|_Debatte _|_ Webcam _|_ vor Ort _|_ Hamburg kolonial

Denkmal & Biografie | Denkmalsturz_| Kooperationen | Stichworte & Quellen | Kommentare | Dank

Impressum & Kontakt _| _Kulturkalender_ | 'Tanzaniapark‘ | _andere Kunstprojekte _|_ Disclaimer