17.12.2009
Hände abgehackt
Heute vor 100 Jahren starb Belgiens König Leopold II. In seiner Privatkolonie Kongo errichtete er ein Terrorregime, das seinesgleichen sucht.
 
Einst herrschte im belgischen Antwerpen der erbarmungslose Riese Druoon Antigoon. Von vorbei fahrenden Schiffen verlangte er Zoll, und wer nicht bezahlte, dem hat er die Hand abgehackt. Doch dem braven römischen Soldaten Silvius Brabo gelang es, dem Riesen selbst die Hand abzuschlagen und so die Bevölkerung vom Joch zu befreien. Ein Springbrunnen auf dem Grote Markt erinnert an die Legende: Der bronzene Brabo steht hoch oben, unter ihm die Sockelfigur des verstümmelten Riesen. Brabo wirft seine Hand in den Fluss Schelde. Antwerpen, Handwerfen.
 
Wo man hinschaut in der Antwerpener Altstadt, sind Handsymbole allgegenwärtig: als Brauereiwerbung, Graffiti an Hauswänden, Objekte in Deko- und Antiquitätengeschäften und Schokohände in den zahlreichen Feinkostgeschäften. Den Kakao, aus dem die weltberühmten Chocolatiers helle und dunkle Händchen formen, importiert Belgien auch aus seiner einstigen Kolonie, dem Kongo.
 
Ortswechsel: Auf der Strandpromenade in Ostende sitzt der eherne König Leopold II auf hohem Ross und schaut stolz aufs offene Meer. Am Sockel unten rechts huldigt ihn das in Bronze erstarrte belgische Volk, links eine Gruppe von Kongolesen. Dem 'Genie und Beschützer' steht da pathetisch auf der Denkmaltafel.
 
Leopold II, König von Belgien von 1865 bis 1909, war ein gewiefter Diplomat und Geschäftsmann. Er gehörte zu den ersten Monarchen, die 'Forschungsreisen' ins Afrikas Innere finanzierten. Ihm zu Diensten standen Henry Morton Stanley und Hermann von Wissmann, der spätere Reichskommissar und Kolonialgouverneur von 'Deutsch-Ostafrika'. Der 'Afrika-Forscher' Wißmann kartierte Bodenschätze und Wasserwege für Dampfschifffahrt, er sammelte gezielt Wissen über Völker und Bräuche, gründete militärische Stützpunkte und raubte kulturelle Güter für des Königs Sammlung. Der angebliche 'Entdeckungsreisende' Stanley erhielt in Wirklichkeit den Auftrag, mit betrügerischen Verträgen im großen Stil Land und Arbeitskraft zu kaufen. Beide gingen in der Begegnung mit der lokalen Bevölkerung nicht gerade zimperlich vor. "Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen", lautete Wissmanns Leitspruch.
 
An der Berliner Afrika-Konferenz, die vor 125 Jahren stattfand, nahm Leopold nicht persönlich teil, doch durch geschickte Schachzüge überzeugten seine Gesandten die in Afrika konkurrierenden europäischen Mächte, ihm den Kongo als Privateigentum zu überlassen, ein Gebiet fünfundsiebzig Mal so groß wie Belgien. Der König wolle 'Zivilisation' nach Afrika bringen, hieß es.
 
Mit der aufkommenden Autoindustrie wuchs der Bedarf der Industrienationen an Kautschuk enorm. Charles Goodyear gelang es 1844, Gummi für Autoreifen zu vulkanisieren, 1888 erfand John Boyd Dunlop den Luftreifen. Im 'Kongo-Freistaat' überfielen bald Leopolds Schergen ganze Dörfer und zwangen die Kolonisierten zum Kautschuksammeln. Wer nicht genug Kautschuk einbrachte, dem wurde von den Milizen der Force Publique die Hand abgehackt. Schätzungsweise 10 Millionen Kongolesen - die Hälfte der Bevölkerung - wurden vom königlichen Terrorregime getötet. Unzählige wurden gefoltert und verstümmelt. Auf die Kongo-Gräuel machten prominente Kritiker in Europa und Amerika aufmerksam. Unter internationalem Druck geraten, 'schenkte' der verhasste Staatsoberhaupt 1908 seinen kolonialen Privatbesitz dem Staat Belgien, blieb jedoch mit großzügigen Tantiemen am milliardenschweren Kolonialgewinn beteiligt. Schnell ließ der König alle Dokumente und Beweismittel über die Gräueltaten verbrennen. Am 17.12.1909 starb er. Der Trauerzug des Monarchen wurde begleitet vom Spott des versammelten Volkes. Am kolonialen Unrecht im Kongo änderte sich indes nur wenig.
 
In Brüssel ließ der König wuchtige Paläste, exotische Gärten, prachtvolle Boulevards bauen. Noch heute ist die koloniale Erinnerungskultur im öffentlichen Raum offensichtlich ungebrochen: im Jubelpark, der zum 50. Jahrestag der belgischen Unabhängigkeit 1880 angelegt wurde, hängt im alles überragenden Triumphbogen eine Plakette, die fünf König-Konterfeis von Leopold I (1831-1865) bis Baudouin I (1951-1993) darstellt - darunter eine 'Hommage an die Dynastie Belgiens und des Kongos'. Im Afrikamuseum in Tervuren, in der 'Galerie der Erinnerung', gewidmet 'den belgischen Pionieren im Kongo', steht ein Leopold-Denkmal, so wie in den meisten Städten Belgiens zahlreiche ehrende Monumente und allerlei Allegorien zu finden sind. Entdeckungstouren in Kolonialtopographie.
 
Am Leopold-Monument auf der Strandpromenade in Ostende sorgte eine Intervention der Gruppe namens 'Stoete Ostendenoare' für Medienwirbel. In einer Aprilnacht 2004 sägten die AktivistInnen einer der kongolesischen Bronzefiguren die linke Hand ab. In einem anonymen Schreiben boten sie der Stadtverwaltung Ostende ein Tauschgeschäft an: Hand gegen eine neue Denkmalplakette, die deutlich auf die Kongo-Verbrechen Leopolds aufmerksam macht. Die Stadtverwaltung blieb zunächst stur, einigte sich dann doch auf einen Kompromiss: die Sockelfigur bleibe ohne Hand, denn so sei das Denkmal 'authentischer'. Immerhin.
 
Jokinen
 
 

Das Denkmal des Handwerfers Brabo in der Antwerpener Altstadt

Antwerpener Schokohände im Schaufenster eines Feinkostgeschäfts

Das Leopold-Reiterdenkmal auf der Strandpromenade in Ostende

Brüssel 2008: "Nous sommes les enfants des Mains Coupées", "Wir sind die Nachkommen derjenigen, denen die Hände abgehackt wurden", "Völkermord im Kongo - wie weit geht der Zynismus der zivilisierten Welt? Warum dieses
Totschweigen?" und "Ohne Papiere hier wegen der belgischen Politik im Kongo" steht auf den Transparenten der meist schwarzen DemonstrantInnen - schmerzhafte Erinnerungskultur inmitten einer geschichtsvergessenen Mehrheitsgesellschaft.

Die Gruppe der Kongolesen am Leopold-Denkmal in Ostende.
Dort, wo die Hand war, klafft jetzt vielsagend eine offene Wunde in Bronze.

 

alle Photos: Jokinen
 
 
 

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