Model vor düsterer Landschaft
Anmerkungen zum fotografischen Werk von Marc Erwin Babej
 
Von Hannimari Jokinen
4.7.2018
 
Ob Super-GAU oder Kriegsverbrechen, mit schönen Frauen und großer Geste inszeniert Marc Erwin Babej seine Fotografien vor schicksalhafter Kulisse. In seiner Ausstellung Unser Afrika im Hamburger Rathaus zeigt er nun Bilder entlang der Topografie des Genozids an den OvaHerero und Nama. Seine Darstellerinnen platziert er als soldatische "Täterinnen" im Gelände. Die Opfer und ihr Widerstand bleiben ausgeblendet.
 
Irgendwo da draußen unter der Himmelskuppel der Namib-Wüste stehen sich zwei Frauen gegenüber. Die Afrikanerin hält einen Schiebezirkel in den Händen, mit dem sie den Schädel ihres Gegenübers, eines weiß1 gelesenen, hochgewachsenen Fotomodels zu vermessen scheint. Die Aufnahme ist von Marc Erwin Babej und hängt zurzeit in der Ausstellung Unser Afrika im Hamburger Rathaus.
 
In vier Themengruppen, Die Eroberer, Die Damen, Engelchen, Nachwirkungen, und mit begleitenden kolonialrassistischen Originalzitaten möchte der Fotograf - so sein erklärtes Ziel - den deutschen Kolonialismus aus der Sicht der Täter darstellen. Schauplatz und Set ist Namibia, vormals die Kolonie "Deutsch-Südwestafrika". 1904-1908 verübte dort die Kolonialarmee des Deutschen Reiches einen Völkermord an den OvaHerero und Nama.
 
Das fotografische Projekt von Babej feiert Weltpremiere in Hamburg, doch seine ausgestellten Bilder werden in den Medien recht knapp besprochen; vielmehr scheinen sie als PR-Aufhänger und Illustration für Hamburgs Programm "Aufarbeitung des kolonialen Erbes" herhalten zu müssen. Die wenigen kurzen Kommentare sprechen von einem "provokativen Werk" (Die Welt), von einem "suggestiven Nebeneinander von Schönheit und Gewalt" (hamburg.de). Seine Fotografien wirkten "modern, fast cool" (ZDF), dabei gelänge es ihnen, Bildinhalte durch Perspektivwechsel zu brechen: "damals war es andersherum" (MOPO).
 
Marc Erwin Babej ist ein in New York lebender deutsch-jüdischer Fotograf, der auch als Journalist und Marketingexperte tätig ist. Nach eigenen Worten ist er relativ neu auf dem Feld der Kunstfotografie, die er sich selbst beigebracht habe. Er möchte "historisch fundierte politische Kunst" machen.
 
Im April gab Babej an einer US-Universität einen Workshop, in dem es um Propagandabilder ging. Eine der Fragestellungen dabei war: "Warum hinterlassen Täter oft dauerhafte Spuren in der nationalen Identität und Kultur, während die Perspektiven der Opfer vergessen wurden?" Aus welchem Grund befasst sich der Fotograf in seiner aktuellen Arbeit trotzdem mit der kolonialen Täterperspektive? Er begründet dies jetzt so: Die meisten künstlerischen Arbeiten würden die Sicht der Opfer thematisieren und nicht die der Täter. Nicht ganz richtig, denn es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie sich Kunstschaffende an Porträts und Biografien von Kriegsverbrechern abgearbeitet haben.
 
Die Fotoserie Chernogirls
Die erste Arbeit, in der Babej Fotomodels vor einer schicksalhaften Landschaft platzierte, war 2014 Chernogirls. Die Frauen, die sich stilvoll geschminkt in der radioaktiv verseuchten Sperrzone Tschernobyl räkeln, kommen aus Minsk und Kiew, doch sie leben in London oder Hongkong, Paris oder New York. "Sie schauen verführerisch in die Kamera, posieren vor einem alten Riesenrad, drücken sich an Wände, von denen der Putz abbröckelt, lassen sich in einem alten, leeren Schwimmbecken ablichten. (...) Bringt man Models, die aus der Region stammen, dorthin und macht Fotos von ihnen, hat das einen Beigeschmack."(Spiegel). Aufgenommen wurde auch eine betagtere, als "weißrussische Dorfbewohnerin" bezeichnete Frau im Hauskittel, während die schönen Models den apokalyptischen Bildhintergrund ornamental verzieren. Fotostrecke Chernogirls
 
Die Arbeit Mischlinge2
Es folgte die Mischlinge-Serie mit Olympia, eine Bildgruppe formal ähnlicher Art, in der junge Frauen in Bundeswehr-Sportleibchen und mit braven Zöpfen, in heroischen Posen und düster dreinblickend dem Berliner Olympiastadion aus der NS-Zeit weitere Bedeutung geben dürfen. Die Fotos wurden mit Kameras "geschossen" (Babej), deren Linsen denen ähnlich sind, die Leni Riefenstahl benutzte, als sie ihre Olympia-Filme im Auftrag des Naziregimes drehte. In der Tat: die Abgelichteten scheinen wie aus einem Riefenstahl-Film entsprungen zu sein. Die Fake-Version eines Riefenstahl-Porträts wird gleich mitgeliefert. Fotostrecke Mischlinge
 
In Mischlinge: Triumph dann eine Fotografie aus der ehemaligen "Heeresversuchsanstalt Peenemünde", in der zwei Bikinimädchen vor der phallusähnlichen V-2-Rakete fröhlich Ball spielen. So naheliegend erotisch sich das Thema auch anbietet, so abgedroschen und zugleich sexistisch wirkt das Bildmotiv. Weitaus differenzierter hat es Thomas Pynchon 1973 in seinem Roman Die Enden der Parabel verarbeitet; seine Tiefenanalyse der (kolonialen) Homosexualität unter den NS-Faschisten ist inzwischen Weltliteratur.
 
Um der Gefahr zu begegnen, seine Bilder könnten zu naziästhetisch sein, die sportiven Frauenkörper doch zu entindividualisiert, ließ Babej seine Models einen DNA-Speicheltest machen, zudem werden sie im Bilduntertitel per Namen genannt - recht kokett in der zeitweilig als Nazitypographie beliebten Frakturschrift. Das Spiel mit dem Gentest soll "beweisen", dass alle Deutschen mehr oder minder "Mischlinge" seien, dass der NS-Rassenwahn Irrwege gegangen sei. Babej wollte auch herausfinden, wie es wirkt, "wenn ich Deutsche von heute ablichte, die nicht wie Deutsche aussehen?" Bloß: Wie sahen und sehen denn "die Deutschen" aus? Den völkischen NS-Ideologen war es doch glasklar, dass "die Deutschen" einigermaßen "gemischt" waren; die propagierte "Rassereinheit" war ein utopischer Entwurf. Die Art der "Mischung" war dennoch keine beliebige, wie in Babejs Arbeit suggeriert, sondern setzte klare Grenzen zu völkisch definierten vermeintlich "Minderwertigen". Die Aussagekraft solcher Gen-Analysen ist zweifelhaft und zurecht als "Herkunftsromantik" verrufen, liegt ihnen doch ein biologistisches und essentialistisches Verständnis zugrunde. Die DNA-Esoterik ist zurzeit en vogue vor allem unter Nazis, die sich einen "Ariernachweis" erstellen lassen wollen.
 
"Wir beginnen erst nachzudenken, wenn etwas irritiert", so Babejs Credo. Doch der werbewirksame Flirt mit Nazifetischen irritiert schon lange niemanden mehr, siehe die Musikvideos von Laibach und Neofolk-Bands, die Modefotos von Helmut Newton oder etwa die riefenstahlhafte Werbekampagne für das Sportgetränk Powerade, um nur einige zu nennen. In ihrem Essay Fascinating Fascism analysiert Susan Sontag die Ästhetik von Sportveranstaltungen, die eine Choreographie von Körpern, Menschenmassen in militärischer Präzision mit der Geschicklichkeit des einzelnen Sportlers verbinden. Solche Spektakel dienen dem Machterhalt und werden in allen totalitären Staaten geschätzt, so Sontag. Und: "Kunst widmet sich zunehmend den Ritualen von Dominanz und Versklavung. Es scheint so, als würde eine wohlhabende Gesellschaft das Leben in eine Geschmacksfrage umwandeln. Das wahre Leben ist dann gleichbedeutend mit Entscheidungsfreiheit und Lifestyle."
 
In Mischlinge: Triumph zeigt ein Foto einen blonden, weiblichen "Prüfling", der von zwei Frauen in weißen Kitteln einer Schädelvermessung unterzogen wird; das Motiv wiederholt sich unter anderen Vorzeichen in der Ausstellung Unser Afrika. Beiden Inszenierungen ist gemein, dass dieser Vorgang seltsam emotionslos dargestellt wird - sie verraten nichts von den Machtverhältnissen, sie bleiben Täterperspektive und coole Oberfläche.
 
In Wirklichkeit stellten die rassistischen Vermessungen die Opfer unter erheblichen Stress. In der NS-Zeit konnten Vermessungsergebnisse über Leben und Tod entscheiden. 1880 zwang Rudolf Virchow die Inuk Paingo, sich vermessen zu lassen. Der Arzt schildert die Situation: "Sowie es an die Körpermessungen ging, fing sie an zu zittern und geriet in höchste Aufregung. Während ich die Klafterlänge feststellen wollte und ihre Arme horizontal ausstreckte, was ihr wohl im ganzen Leben noch nicht vorgekommen war, bekam sie plötzlich den Anfall: Sie sprang mit beiden Beinen in einer zusammengebückten Stellung im Zimmer umher [und s]ie schrie." Paingo war Mitglied einer "Eskimo-Gruppe" in einer der kolonialrassistischen "Völkerschauen" des Hamburger Impresarios Hagenbeck. Die sich wiederholenden Vermessungen in den europäischen Städten und weitere Stressfaktoren wie die Zurschaustellung vor einem drängenden Massenpublikum, das ungewohnte Essen sowie mangelhafte medizinische Versorgung - Hagenbeck hatte schlichtweg "vergessen", sie gegen Pocken impfen zu lassen - führten zum baldigen Tod aller acht Inuit. In Hagenbecks "Völkerschau" starben einige Monate später fünf verschleppte Menschen aus Südchile. Ihre sterblichen Überreste wurden der kolonialwissenschaftlichen "Forschung" zugeführt, ihre Körper somit auch noch posthum zur Ware. Erst vor kurzem wurden ihre human remains nach Chile restituiert und würdevoll bestattet.
 
Die Ausstellung Unser Afrika
Babejs These lautet, dass nicht so sehr der Wunsch nach wirtschaftlicher Ausbeutung von Mensch und Natur impulsgebend für die Besiedelung der Kolonie "Deutsch-Südwest" gewesen sei, sondern vor allem das herrschende weiße Überlegenheitsgefühl. Die rassistische Haltung sei eine eng mit der Romantik verbundene und wahnhaft utopische Ideenwelt. Es sei wichtig, die abstrusen Vorstellungen der Kolonisierer zu kennen, um die wahren Gründe des Völkermords an den OvaHehero und Nama zu verstehen.
 
Doch solch rassistische Kolonialromantik war den Kaufleuten, Reedern, Bankiers und Besitzern von Minengesellschaften egal - Hauptsache es klingelte in der Kasse der Strippenzieher. Der Hamburger Kolonialkaufmann Adolph Woermann war nicht nur politisch äußerst einflussreich, er saß auch in zahlreichen Firmen- und Bankenaufsichtsräten. Er war Großaktionär in der Otavi Minen- und Eisenbahngesellschaft OMEG in "Deutsch-Südwest" wie auch in der Norddeutsche Affinerie in Hamburg, die OMEG mit Kupfererzen belieferte.
 
Die OvaHerero und Nama standen zum einen gegen den Rassismus der Kolonialverwaltung auf und weil ihnen die deutschen Siedler3 das Weideland für ihre Rinderzucht wegnahmen. Zum anderen kämpften sie gegen die weiträumige Enteignung ihrer Gebiete durch den Otavibahnbau. Nach dem Vernichtungskrieg errichtete Woermann den aus der Wüste zurückkehrenden Überlebenden seine eigenen Konzentrationslager. Für den April 1906 sind allein für die OMEG-Kupfermine 900 Männer, 700 Frauen und 620 Kinder als Zwangsarbeiter_innen dokumentiert; andere wurden für den Eisenbahnbau in die Wüste deportiert. Für die Kaufmänner und ihre Konsortien waren nicht Herrenmenschenallüren das Movens, sondern Profit.
 
Die Kosten des Kolonialkriegs mussten die deutschen Steuerzahler finanzieren, während sich die Siedler und vor allem die Handelsherren privat bereicherten. Der Öffentlichkeit im Deutschen Reich musste das koloniale Unternehmen also möglichst schmackhaft gemacht werden. Mit einer rassistischen Kolonialpropaganda, die medial wirksam verbreitet wurde, gelang es tatsächlich, mehr Siedler nach "Deutsch-Südwest" zu locken und mehr Aktien zu verkaufen. Während die kolonialromantisch verbrämte rassistische Ideologie unter den Soldaten zweifelsohne zur Radikalisierung der Kampfhandlungen führte, waren knallharte Wirtschaftsinteressen der mächtigen Kaufmannselite in Hamburg und ihrer politischen und militärischen Lobbyisten in Berlin wichtige Gründe für die Kolonisierung. Im herbei imaginierten späteren "kolonialen Frieden" sollten die Überlebenden zur "Lösung der Arbeiterfrage" nun "verschont" und zu einem rechtlosen Arbeitskräftereservoir umgewandelt werden, denn der "Eingeborene ist in den Tropen der Arbeiter der Weißen und wird gegenüber dem importierten stets der billigere sein" (Georg Thilenius, erster Direktor des Hamburger Völkerkundemuseums). Leider kommen diese Aspekte in Babejs Arbeit gar nicht vor.

Unser Afrika ist somit einem einseitigen Täterbild aufgesessen. Auch aus diesem Grund bleiben die Bilder noch der kolonialromantischen Vorstellungswelt verhaftet. Die beabsichtigte Kritik an den kolonialen Tätern gelingt nicht, weil ihre Sichtweisen derart werbeästhetisch überhöht dargestellt werden, dass es scheint, als habe Rassismus und Kolonialismus mit unserem Alltag heute nichts zu tun. Besonders deutlich wird diese aufgebaute Distanz in der dritten Bildergruppe mit dem Namen Engelchen, die ­ so Babej ­ den dekadenten "Todestrieb" offenbaren soll, der in der Kolonie angeblich herrschte. In nachtdunklen, bedeutungsschwangeren Fotografien, in denen sich Frauen in Nachthemden misstrauisch beäugen, wird eine wagnerianisch anmutende, surreale Todessehnsucht heraufbeschworen, die kaum etwas mit der Lebensrealität auf einer Farm in "Deutsch-Südwest" gemein hat. Fotostrecke Unser Afrika
 
Kolonisierung geschah nicht in einem luftleeren Raum. Diese Geschichte kann nur als ein Kräftefeld zwischen den Kolonisierten und Eroberern verstanden werden. Indem die Täterperspektive in Unser Afrika isoliert betrachtet wird, werden die Kolonisierten als Akteur_innen und ihr agency implizit marginalisiert. Ausgeblendet bleibt, dass es gerade ihr vielgestaltiger Widerstand war, der Anlass zu immer neuen "Eingeborenenverordnungen" durch die Kolonialverwaltung gab.
 
Babejs Blick kann sich denn auch nicht vom Kolonialdenkmal des Südwester Reiters, dem zentralen Symbol der deutschen Kolonialherrschaft im Land, lösen. Die namibische Regierung ließ das Monument 2013 vom öffentlichen Raum entfernen, der Fotograf lässt den Totgeglaubten wieder auferstehen. Sein Bildarrangement zeigt ein weißes Ross aus Fleisch und Blut und eine Schwarze Reiterin mit Gewehr in der Pose der kolonialen Bronzefigur.
 
Ist zumindest diesem Foto eine Umkehrung der kolonialen Verhältnisse gelungen? Könnte die Aufnahme dem Genre einer künstlerischen Neuinszenierung beziehungsweise deren medialen Vermittlung zugeordnet werden? Wohl kaum, denn so funktionieren nun mal Reenactments in der Kunst nicht. Vielmehr aktualisieren diese bevorzugt emanzipative und subversiv-widerständige Geschichte(n), die dem kollektiven Gedächtnis durch repressive Machthaber entzogen wurden. Das mit Übermaß an Mythos beladene Herrschaftszeichen kann nicht allein damit dekonstruiert werden, dass den Reiter nun eine Schwarze Frau darstellt. Auch hier bleibt die Nachstellung bloß eine stylische Pose.
 
Beim Publikumsgespräch in Hamburg wurde der Fotograf gefragt, ob er bei seinem Projekt Kontakt zu namibischen Partnern gesucht habe. Da es ihm in seinen Bildern um Verfremdungseffekte mit nicht-afrikanischen Models gegangen sei, so die Antwort, habe er dies nicht für nötig gehalten. Seine Arbeit "verbinde symbolisch Kunst, Wissenschaft und Regierungsebene für eine verantwortliche Anerkennung für Deutschlands Kolonialvergangenheit." Deshalb habe er sich vielmehr in Gesprächen mit Wissenschaftler_innen historisch ausreichend abgesichert. Welchen Anteil diese weißen, meist männlichen Berater an seinen Bildentwürfen hatten, wird aus der Liste der collaborators nicht klar. Und welche Regierungsebene ist hier gemeint? Die Delegationen der OvaHerero und Nama, die wir im April in Hamburg willkommen heißen durften, weisen nachdrücklich darauf hin, dass die Bundesregierung nicht allein mit der namibischen Regierung verhandeln soll, von der sie sich nicht vertreten fühlen, sondern direkt mit ihren eigenen Opferverbänden. Auch um diesen Punkt geht es bei ihrer Klage gegen Deutschland vor dem US-amerikanischen Gericht.
 
Hätte Babej mit Wissenschaftler_innen und Zeitzeug_innen in Namibia gesprochen, hätte er vielleicht herausgefunden, wie die OvaHerero in den 1970er Jahren gegen ihre wiederholte Vertreibung protestierten. Der Überlieferung nach stülpten sie dem Reiter einen Leinensack über den Kopf, damit er seinen besitzergreifenden Blick nicht mehr über das Land schweifen lassen konnte. Seinen ehernen Körper spickten sie mit roten Blumen, die Blutstropfen symbolisierten. Die bloße Beschäftigung mit der Täterperspektive lässt solch widerständig-performativen Akte der Schönheit und Selbstermächtigung schlichtweg übersehen.
 
In der Bildgruppe Unser Afrika. Die Eroberer übernehmen Frauen männliche Rollen. Die Models posieren in maßgeschneiderten "Schutztruppen-Uniformen" vor historisch bedeutsamer Kulisse. Doch sie wirken wie puppenhafte Fremdkörper, seltsam unbeteiligt und ferngesteuert, und damit spiegeln sie den Blick des Fotografen wider, der sie in Szene setzt. Dramatisch ist nur die Landschaft, die Figuren darin mal im Gegenlicht, mal im Strahlenkranz wie von einer anderen Welt - Star Wars lässt grüßen. Auffallend auch, dass den perfekt gestylten Protagonistinnen, jung, schlank und hochgewachsen, Afrikanerinnen dazu gesellt werden, die älter, kleiner und korpulent sind. Wir sind ja nicht frei von Schönheitsvorstellungen, die uns die Werbung vorgaukelt. Die Bildunterschrift Gutsherrin und Weiber verstärkt noch den Eindruck einer rassistischen und sexistischen Hierarchisierung. Ähnlich verhält es sich mit der eingangs erwähnten Aufnahme mit der "weißrussischen Dorbewohnerin" in Chernogirls; hier wird Alter und Armut im Vergleich zu Jugend und Privilegiertheit herabgesetzt.
 
Die rassistischen Zitate aus der Kolonialzeit, welche die Fotografien von Unser Afrika untertiteln, sind innerhalb der jeweiligen Bildgruppe austauschbar, denn sie haben in den meisten Fällen mit dem einzelnen Bildinhalt direkt nichts zu tun. Sie sind unkommentiert ein absolutes No-Go in der dekolonisierenden Erinnerungskultur. Und selbst die Überschriften zu diesen Zitaten, die sich Babej ausgedacht hat, imitieren die koloniale Sprache. Die Diele des Hamburger Rathauses wird vor allem von vielen Tourist_innen besucht. Es kann davon ausgegangen werden, dass unvoreingenommene Ausstellungsbesucher_innen von der Gewalttätigkeit der Texte nicht unbedingt irritiert oder schockiert sind; einige werden ihr rassistisches Gedankengut gar bestätigt fühlen.
 
Den Abschluss der Ausstellung bildet die Aufnahme Der Swakopmunder Kniefall in der Bildgruppe Die Nachwirkungen. Die Textebene ist noch eine wohltuende Ausnahme: ein Zitat aus Willy Brandts Rede 1970 in Warschau. Die Aufnahmen vom Kniefall von Warschau zeigen den damaligen Bundeskanzler kniend vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos. Die Bilder sind geradezu ikonenhaft und gehören wohl zu den weltweit bekanntesten Pressefotografien. Das echte Mitgefühl, das in dieser spontanen Demutsgeste in Anerkennung der Shoah zum Ausdruck kommt, schlug damals hohe politische Wellen. Babej transferiert nun den Kniefall zum Swakopmunder Gedenkstein, der an die Opfer des Genozids unter den OvaHerero und OvaMbandero erinnert. Doch der niederknienden Frau fehlt jegliche Rührung und Empathie, den sie eskortierenden Models in der Rolle von "Schutztruppensoldatinnen" [sic] ebenso. Diese Inszenierung ist historisch und ethisch unbedacht und an diesem Gedenkort angesichts des Genozid-Traumas despektierlich.
 
Der Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins kommentiert: "Ich glaube schon, dass viele, die auf diese Fotografien schauen, immer noch in einer kolonialen Normalität gefangen sind, die nicht so einfach zu durchbrechen ist." Die Bilder zeigten ein "immer noch kolonial geprägtes Grundverständnis" und damit auch, "wie schwierig es in Deutschland ist, sich mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen." (Mit Werbeästhetik gegen Rassismus?, Deutschlandfunk)
 
Seine Ausstellung, sagt Babej, verfolge "das Ziel, neue Akzente für die politische Kunst zu setzen, in der nicht der Protest eines Künstlers im Mittelpunkt steht, sondern eine fundierte inhaltliche Auseinandersetzung." Doch der Fotograf, Gefundenes und Erfundenes mischend, bleibt doch sehr eng an seine eigene Vorstellungswelt gebunden, die nicht unproblematisch ist. Grundsätzlich fragt sich: Wozu die Täterperspektive wiederholen? Wenn diese dann nicht zu Irritation, Provokation oder Dekonstruktion führt, sondern als modische Leerformel, heroisierendes Pathos und stylisches Spektakel daherkommt, ist der Ausstellungsbesuch kein Erkenntnisgewinn.
 
 
Die Ausstellung Unser Afrika bis 13. Juli 2018 8-19 Uhr
in der Diele des Hamburger Rathauses.
 
Hannimari Jokinen, geboren in Finnland, in Hamburg lebend. Sie ist Künstlerin und Kuratorin und seit 15 Jahren Mitglied des Arbeitskreises HAMBURG POSTKOLONIAL
 
 

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Model vor düsterer Landschaft
Anmerkungen zum fotografischen Werk von Marc Erwin Babej

 
 
1) In der postkolonialen Literatur hat sich die folgende Schreibweise etabliert: "Schwarz" wird großgeschrieben und "weiß" klein und kursiv. Damit wird klargestellt, dass diese Begriffe gesellschaftliche Konstrukte sind und nicht Zuschreibungen von Körpermerkmalen.
 
2) Das Wort "Mischling" ist ein rassistischer Begriff.
 
3) Im Text wurde die männliche Form "Siedler" gewählt, weil in der zwei Jahrzehnte langen Anfangsphase der Kolonisierung fast ausschließlich Männer ansiedelten. Unter dem Namen "Deutschkolonialer Frauenbund" gründete sich dann 1907 eine rassistische Organisation, welche die Einwanderung von Frauen aus Deutschland propagierte, später wurde sie in "Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft" umbenannt. Damit sollten die sog. Mischehen zwischen deutschen Männern und afrikanischen Frauen unterbunden werden. Viele der Einwandererinnen waren zunächst berufstätig, das Ziel war jedoch die Vorbereitung auf ein Leben als Farmersfrau und Mutter. Die "Pflanzersgattinnen" wurden Teilhaberinnen an der Macht über die afrikanischen Landarbeiter_innen. Alleinstehende Siedlerinnen bildeten die große Ausnahme. S. auch: "Deutsche Frauen nach Südwest!" - der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft
 
Letzter Zugriff zu den im Text angegebenen Links am 4.7.2018

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